Lebendige Heimat – Viatrow 1936

19.02.2022 – 3. Kapitel – DIE STORY – F.-Martin Steifensand – Ein deutsches Schicksal: Vertreibung und Flucht aus dem Pommernland – Der dornenreiche Weg vom Flüchtlingskind zum Unternehmer.

Über 40 Jahre sind in das Land gegangen. Viatrow – das ist doch eigentlich nur noch Erinnerung. Weit, weit zurück liegen jene Eindrücke, die sich aber tief in das Gedächtnis eingegraben haben. Dabei standen mir nur genau elf Jahre zur Verfügung. Erlebnisse zu registrieren. Einige davon, in den ersten Kinderjahren, waren noch ohne das Bewusstsein für prägende Erinnerungen.

Und dennoch: Wenn ich die Augen schließe, dann entsteht heute noch ganz scharf und konturenreich vor mir das Bild unserer Heimat, ihrer Häuser, ihrer Landschaft und vor allem ihrer Menschen. Mitten in den gepflegten Parkanlagen erheben sich die Herrenhäuser, die sich in den Teichen spiegeln und auf deren weiße Wände die dicken alten Linden und knorrigen Eichen im Sonnenschein Schattenrisse zeichnen.

Rotbuchen, Holunderbüsche und Hecken bilden verträumte, lauschige Winkel; Rosen- und Tulpenbeete säumen, blühende je nach Jahreszeit, die Wege zu den Parks. Wie das in Pommern damals so selbstverständlich war, blühte im Sommer ein großes Rondell vor jedem Herrenhaus.

Um in das Gutshaus von Kurt Xaver Martin Steifensand 
zu gelangen, gab es drei Möglichkeiten.

Direkt vom Park aus durch den Haupteingang, den man über ein paar Stufen erreichte. Man gelangte sofort in einen großen Raum, mit Stühlen, den wir „die Halle“ nannten.

Dieser riesige Raum bildete den Mitteltrakt, der das ganze Haus querte. Auf der gegenüberliegenden Seite erreichte man die Glasveranda, einen Vorbau, durch den man über eine von dicken Mauern gesäumte Treppe das Haus wieder verlassen konnte.

Wenn die dicke Buschhecke vor dem Haus nicht einen großen Teil der Sicht versperrt hätte, dann wäre von hier aus ein Rundblick auf den Hof mit all seinen Speichern, Scheunen, Wagenremisen, Gutsstallungen und Leuteställen sowie auf den Dorfteich möglich gewesen.

An der nördlichen Schmalseite des Herrenhauses führte ein Eingang direkt in die untere Etage. In diesem Souterrain befanden sich die Haushaltsräume sowie die Zimmer der Bediensteten. Von Mariechen, der Mamsell, von Zimmermädchen Irmchen und Gärtner und Chauffeur war, wird später noch eine Rede sein. Auch von der Hühner-Berta, die allgemein Hauna Bart gerufen wurde.

Von diesem Eingang, den auch wir Kinder benutzten, erstreckte sich unser Spielbereich. Ein weißer Zaun, dessen Latten und Querstreben von Steinpfeilen getragen wurde, begrenzte den Außenhof mit den Holzstaken, den Hühnerställen, der Aschenkuhle usw. Dort angelehnt an den Zaun hatte man kleine Karnickelställe gebaut, in denen die Häschen unserer Schwestern heranwuchsen. Oftmals lagen wir auf dem Dach dieser Ställe und aalten uns in der Sonne.

Das ganze Jahr über begleitete und das werden und vergehen eines gewaltigen Baumes, einer wundschönen gewachsenen Kastanie. Wie ein Wunder erschien es uns, wenn nach einem frostigen Winter, der an manchen Tagen dicken Raureif an die Äste gezaubert hatte, im Frühling zuerst die klebrige Knospen hervorlugten, die wir so gerne berührten. Kurzdarauf hatte der Baum dann seine zartrosa Blütenkerzen aufgesteckt.

Es Es wurde schon Herbst, wenn der Wind die Früchte vom Baum schüttelte, die beim Aufprall auf den Boden auseinander platzten und die Kastanien über den Hof hüpften ließen. Wir haben sie meist alle liebevoll aufgesammelt, diese sauberen, glatten Kugeln, die leider schon nach wenigen Tagen zum schrumpfen begannen, dabei ihre schöne Form und Farbe einbüßend.

Für uns Kinder hatte man in einem der starken Äste eine Schaukel angebracht, auf der wir uns hoch und immer höher zu schwingen trauten. Den mächtigen Baum zu erklettern, war gar nicht so einfach. Er war viel zu dick, und im unterem Bereich des Stammes gab es keine Äste, an denen man sich hätte hochangeln können. Wir beiden kleinen Jungs staunten da über unsere viel größeren Schwestern die geradezu artistische Begabung an den Tag legten, um in die Krone des Baumes zu gelangen.

Im Garten von Viatrow 1936. Von links F.-Martin Steifensand, Hati Steifensand, Laurette Steifensand, Dietel Steifensand, York Steifensand. Das Wollknäuel auf dem Schoß der Mädchen ist Mohrchen.

Wiatrowo (deutsch Viatrow, 1938–45 Steinfurtkaschubisch Wiatrowò) ist ein Dorf in der polnischen Woiwodschaft Pommern und gehört zur Landgemeinde Damnica (Hebrondamnitz) im Powiat Słupski (Kreis Stolp).

Die Schwestern, Laurette Steifensand, Dietel Steifensand und Hati Steifensand krabbelten auf einen Steinpfeiler des Zaunes, schwangen sich in waghalsigen Sprung mit hoch erhobenen Armen zum nächst erreichbaren Ast, und mit einem geradezu bewundernswerten Schwungaufzug erklommen sie das untere Astwerk.

Von da aus war es für sie dann keine Anstrengung mehr, bis in den obersten Wipfel zu steigen. Voller Neid schauten wir zu ihnen hinauf. Erste Jahre später bekamen auch wir Jungs den Bogen raus, und von da an hatte die gutmütige Kastanie keine Ruhe mehr von uns und den Dorfkindern, die zum Spielen zu uns kamen. Wenn wir nicht gerade Lust zum Klettern hatten, bauten wir auf einem großen Sandhaufen mächtige Ritterburgen, oder Rutschbahnen, auf denen wir Kugeln durch die Serpentinen rollen ließen.

Von diesem Spielhaus aus führte ein Grabenweg zum Eiskeller. Hier hatte man im Winter Eis von den Teichen eigeschaufelt, das man im Sommer zum Kühlen der Speisen und Getränke in den Eisschrank brauchte. Dieser Keller war mit einem dicken Vorhängeschloss für uns Kinder gesichert. Doch immer wieder war es erregend, wenn wir im Sommer beim Eis holen ein Blick in diesen Eispalast werfen konnten. Doch die Tür wurde immer nur für wenige Sekunden geöffnet.

Ein Stück weiter, dem Graben entlang, hatte ich eine Höhle gebaut. Hier haben wir mit den Dorfkindern oftmals Versteck gespielt. Wir ahnten damals nicht, dass dieser Unterschlupf in der letzten Phase des Krieges unserer Schwester Dietel Steifensand, die als einzige noch in Viatrow geblieben war, ein sicheres Versteck bieten würde. Wenn die Russen in der Nacht durch die Gegend zogen, um nach Frauen und Mädchen für ihre Vergewaltigungstouren zu suchen, fand Dietel Steifensand dort Sicherheit.

Wir Steifensand`s, waren gewiss keine Kinder von Traurigkeit. Im Gegenteil. Zu gegebener Zeit wurde entsprechend dem Anlass auch froh gefeiert. Als unsere Schwestern noch alle zu Hause waren, erlebten wir auf der Seite der großen Veranda, zwischen dem Haus und einer großen Tanne, alljährlich ein „Schützenfest“.

Für Organisation und Durchführung zeichneten unsere Schwestern Verantwortung. Sie sorgten für den Aufbau der Buden und deren Ausstattung mit Spielgeräten und Verkaufstischen. Das Schützenfest wurde zu einem sehr lebendigen Fest der Spiele, woran wir Kinder aus unserem Freundeskreis teilnahmen.

Noch gut in Erinnerung sind mir jene „Attraktionen“, die wir damals als solche ansahen: Sackhüpfen, Eierlaufen, Würfeln, usw. Auch Kunststücke auf dem Fahrrad fanden viel Beifall. Absoluter Höhepunkt war das Reiten auf unserem Pony. Natürlich musste jeder, der dieses Vergnügen in Anspruch nehmen wollte, einen Obolus entrichten. Allerdings nicht in klingenden Münzen, sondern in Form von Rosenblättern, die wir als Währung eingeführt hatten.

Dieses Zahlungsmittel wurde auch angenommen für die Fruchtsäfte und die Brause, die wir in riesigen Mengen – Kinder haben immer Durst – durch unsere Kinderkehlen rinnen ließen. Wenn ich an diese Feste zurückdenke, höre ich noch in Gedanken das Kläffen unseres Jagdhundes, der aus einem Zwinger zuschaute und gerne vom Streuselkuchen und den Würstchen naschte, die wir ihm über den Zaun warfen.

Wiatrowo liegt in Hinterpommern, etwa neun Kilometer nördlich von Damnica (Hebrondamnitz) am linken Ufer der Lupow (polnisch: Łupawa). Bis zur südwestlich liegenden Kreisstadt Słupsk (Stolp) sind es 26 Kilometer. Über eine Stichstraße ist das Dorf mit der von Będziechowo (Bandsechow) nach Damno (Dammen) und Potęgowo (Pottangow) führende Nebenstraße verbunden. Die nächste Bahnstation ist Damnica an der Bahnstrecke von Stargard in Pommern nach Danzig.

Namensformen sind: Vatrow (1274), Vetrowe (1283), Viattro (1426), Viatrow (bis 1937), Steinfurt (1938–45) und ab 1945 Wiatrowo. Die deutsche Bezeichnung Viatrow kommt nur hier vor, der polnische Name Wiatrowo erscheint noch einmal in der Woiwodschaft Großpolen.

Gernot-M. Steifensand & F.-Martin Steifensand
90530 Wendelstein bei Nürnberg / Deutschland

Telefon: 09129-40679-0
E-Mail: ceo@steifensand.com

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